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Mit System gegen Food Waste im Handel

Jedes Jahr fallen allein in Deutschland fast 500.000 Tonnen Lebensmittelabfälle im Handel an, so der UN Food Waste Index Report aus dem vergangenen Jahr. Nicht nur fürs Image der Branche ist das schlecht auch der wirtschaftliche Schaden durch die Ausbuchungen ohne Verkauf sind immens. Das Problem ist in den Handelsunternehmen erkannt, doch Lösungen sind nicht trivial. Während der Abfall um rund 20 Prozent durch den Einsatz optimierter Bestellungen durch KI-basierte Prognosesysteme reduziert werden kann, bleibt dem Handel für den Rest oft nur, zu versuchen, ihn durch Preisreduktionen noch abzuverkaufen, bevor er nicht mehr verkehrsfähig ist. Ein Prozess, der bislang nahezu ohne IT-Systeme abläuft und damit auch ohne nennenswerte Optimierung. Jetzt gibt es eine App, die das ändern könnte.

Die Ankündigungen großer deutscher Lebensmittel-Handelsunternehmen wie Lidl, Aldi Nord und Aldi Süd, flächendeckend elektronische Regalpreisetiketten einführen zu wollen, lässt vermuten, dass sie auch ihre Preise zukünftig dynamischer anpassen werden. Das ist im sich kontinuierlich verschärfenden Preiswettbewerb auch wenig verwunderlich.

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So wie Lidl, Kaufland und zahlreiche Edeka-Märkte rüstet der Handel das schnell wechselnde Obst & Gemüse-Sortiment als eines der ersten mit elektronischer Preisauszeichnung auf. Schnell wird daher die Vermutung laut, durch eine Dynamisierung der Preise ließe sich auch das große Problem des Lebensmittel-Handels reduzieren, dass er täglich Tonnen von Ware wegwirft oder zumindest unverkauft weitergibt, weil sie das Verbrauchsdatum oder Mindest-Haltbarkeitsdatum bald erreicht haben oder bereits Mängel durch Verderb aufweisen.

So einfach ist das aber nicht. Denn tatsächlich vermischen sich die Chargen im Regal und in den Schütten der Vertriebsstätten. Und um die Umsetzung des First-in-first-out-Prinzips sind die Kunden wenig bemüht. Letztlich sind den IT-Systemen die Chargen der Ware in den Vertriebsstätten bisher schlicht unbekannt.

Umsatzpotenziale landen in der Tonne

Doch der Handlungsbedarf ist tatsächlich groß: Laut UN Food Waste Index Report aus dem vergangen Jahr fallen in den hoch entwickelten Ländern 13 Kilogramm Lebensmittel-Abfall pro Einwohner und Jahr im Einzelhandel an. Das sind zwar nur rund 11 Prozent allen Food Wastes, der ganz überwiegend in den Haushalten selbst, aber auch durch die Industrie und Gastronomie verursacht wird. Die Kosten für den Handel sind aber unstrittig gigantisch, wenn er in – dem im Vergleich mit anderen Ländern noch gut abschneidenden — Deutschland nahezu 500.000 Tonnen Lebensmittel pro Jahr ohne Verkauf ausbuchen muss.

Ein wichtiges Instrument im Kampf gegen Lebensmittelabfälle sind für den Handel Software-Tools zur Bestellmengen-Optimierung durch KI-basierte Prognosen der Abverkäufe. Und die werden im Bereich der Frische immer besser.

Ein Fünftel weniger Abfall durch KI

So konnte zum Beispiel das regionale Lebensmittel-Handelsunternehmen Booths, das im Nordwesten Englands vertreten ist, den Verderb durch Einsatz der Software-Plattform des finnischen Anbieters Relex über das ganze Sortiment um 10 Prozent reduzieren. Im Bereich der Kühlware, die bei Booths 20 Prozent aller Abfälle verursacht, konnten die Ausbuchungen ohne Verkauf sogar um 20 Prozent gesenkt werden. Und das, ohne negative Effekte auf die Verfügbarkeit.

Doch auch nach einer Reduktion des Abfalls um 10–20 Prozent werden in größeren Unternehmen immer noch tausende Tonnen Lebensmittel unverkauft weitergegeben oder vernichtet. Immer häufiger setzen die Betriebe des Handels deshalb auf Preisreduktion von Frischware, die kurz vor dem Mindest-Haltbarkeitsdatum steht oder vertretbare Mängel aufweist. Doch ohne auf das Produkt zu schauen, weiß niemand, wie viele Produkte mit einem bestimmten Mindest-Haltbarkeitsdatum noch im Regal stehen.

Bei Tegut wird für ein Eigenmarkenprodukt aus dem Frischebereich ein 50%-Aufkleber für die Preisreduktion genutzt. (Foto: Retail Optimiser)
Bei Tegut wird für ein Eigenmarkenprodukt aus dem Frischebereich ein 50-Prozent-Aufkleber für die Preisreduktion genutzt. (Foto: Retail Optimiser)

Barcode mit Charge dauert noch

Auch an den Kassen des Handels wird die Charge nicht erfasst, so dass in keinem System die Information über das Mindest-Haltbarkeitsdatum der Produkte zu finden ist, welche abverkauft wurden. Das soll sich zwar ändern, allerdings wird es das nicht so schnell. Die GS1-Organisationen weltweit planen mit ihrem in den USA beheimateten Projekt ‚Digital Link Sunrise 2027‘, den Barcode mit der GTIN, der heute an der Kasse ausgelesen wird, durch einen 2D-Barcode ersetzbar zu machen. Dabei soll es sich dann um einen Matrix-Code handeln, zu deren Familie auch der bereits weitverbreitete QR-Code zählt.

Durch diesen sollen dann auf kleiner Fläche zusätzliche Informationen wie die Charge scanbar werden. Wie der Name des Projektes bereits verrät, ist das aber erst für das Jahr 2027 geplant.  Bis dahin sollen dann auch die Kassen-Hard- und Software des Handels fit gemacht werden, diese zusätzlichen Informationen lesen und verarbeiten zu können.

Metro tut es schon bei Fisch

Bevor nicht optional der heutige Barcode durch den neuen 2D-Code ersetzt werden kann, ist es schwer für den Handel, Chargen an der Kasse auszulesen. Dies vor allem deshalb, weil an der Kasse grundsätzlich nur ein Code gescannt werden soll, und nicht einer mit der GTIN und ein weiterer für die Charge oder sonstige Informationen.

Dennoch gibt es tatsächlich Fälle, in denen der Handel bereits heute die Charge der Ware an der Kasse erfasst. So hat der Großhandels-Markt-Betreiber Metro C+C mit der GS1 Germany-Tochter F-Trace ein Rückverfolgungssystem für Fisch geschaffen, bei dem er die Lot-Nummer mit Hilfe des durchaus sperrigen Barcodes ‚GS1 DataBar Expanded Stack‘ an der Kasse erfasst. Die gewerblichen Kunden von Metro finden diese Informationen sogar auf ihrer Rechnung wieder und können so auch später noch mittels der Plattform F-Trace den gekauften Fisch chargengenau bis zu dessen Fangort oder Zuchtgebiet zurückverfolgen.

Von dieser Ausnahme abgesehen bleibt die Frage, Produkte welcher Charge abverkauft wurden und welche sich noch im Regal befinden, den Systemen des Lebensmittel-Handels bisher gänzlich verborgen. Selbst nach dem ‚Digital Link Sunrise 2027‘ der GS1-Gemeinschaften dürfte es vor allem aufseiten der Hersteller wegen Prozess-Nachteilen an ihren Produktions- und Verpackungslinien noch erheblichen Widerstand dagegen geben, die Codes Chargen-spezifisch aufzubringen. Und der Handel wird sicher nicht bereit sein, Kompromisse bei der Scangeschwindigkeit an seinen Kassen hinzunehmen.

Aufkleber auf Einzelprodukten

Da der Einzelhandel jedoch unter erheblichem Druck steht, die Menge verschwendeter Lebensmittel zu reduzieren, versuchen die Unternehmen immer häufiger, Frischware mit nur noch kurzer Restlaufzeit bis zum Mindest-Haltbarkeitsdatum durch Preisreduktionen rechtzeitig abzuverkaufen. Auch Obst und Gemüse mit leichten Mängeln, das weiter problemlos in Verkehr gebracht werden kann, soll so vor der Tonne bewahrt werden.

In der Regel kleben die Mitarbeiter auf der Fläche dazu auffällige Aufkleber mit der Preisreduktion in Prozent auf die Ware. Doch dieser Prozess gehört zu den letzten des Handels, der noch jenseits jeglicher Abbildungen in IT-Systemen abläuft, was zu erheblicher Intransparenz führt und effiziente Optimierung weitgehend verunmöglicht.

Aldi reduziert frische Fleischwaren mit einem roten 30-Prozent-Aufkleber. (Foto: Retail Optimiser)
Aldi reduziert frische Fleischwaren mit einem roten 30-Prozent-Aufkleber. (Foto: Retail Optimiser)

Zeitpunkt und Höhe der Reduktion braucht Optimierung

Annahmen, dass die Höhe der Preisreduktion von Frische doch nicht so wichtig sei, weil die Ware ja andernfalls ohnehin weggeworfen oder unentgeltlich abgegeben würde, werden in den Handelsorganisationen immer häufiger infrage gestellt. Reduziert eine Filiale den Preis für eine SKU zum Beispiel zu radikal, läuft sie trotz aller Freude über die Verkaufsförderung Gefahr, die Preisglaubwürdigkeit des Basispreises zu unterminieren. Werden zu viele Produkte mit Preisreduktions-Labels beklebt, sieht die Frische nicht mehr frisch aus.

Die fehlende Transparenz bei der systemfreien Preisreduktion stört den Handel auch aus anderen Gründen: Bei den meisten Handelsunternehmen muss die Preisreduktion an der Kasse durch eine Prozent-Taste manuell aktiviert werden, ohne dass sichergestellt wird, dass die Ware auch wirklich entsprechend ausgezeichnet war. Dabei ist dem Handel das Problem des sogenannten Sweatheartings, also des Betrugs durch die eigenen Mitarbeiter zugunsten befreundeter Kunden, ein besonders großer Dorn im Auge.

Die Rewe Group hat für sich jedoch eine Lösung für das Problem geschaffen. In ihren deutschen Supermärkten und SB-Warenhäusern verwendet sie Preisreduktions-Etiketten mit einem zusätzlichen Barcode. Dieser muss an der Kasse zusätzlich zur GTIN gescannt werden, damit die Kassensoftware die Preisreduktion berechnet. Der zusätzliche Barcode folgt der Logik der GTIN, wobei er mit dem Präfix 20 aus dem internen Nummernkreis der Rewe Group stammt. Ob sich das Scannen von zwei Barcodes an einem Artikel für Preisreduktionen durchsetzt, wird in den Fachabteilungen des Handels jedoch durchaus kontrovers diskutiert.

Rewe reduziert gekühlte Fleischwaren mit einem 30-Prozent-Aufkleber und integriertem Barcode zur einfachen Erfassung an der Kasse. (Foto: Retail Optimiser)

Aufwändig und intransparent

Der hoch manuelle Prozess der Preisreduktion ist nicht nur mit einem erheblichen Zusatzaufwand für die Mitarbeiter verbunden, welche das MHD am Einzelprodukt ablesen müssen und Waren gegebenenfalls mit einem Aufkleber versehen – er ist für die Verantwortlichen auf der Fläche und in der Zentrale auch völlig intransparent.

Problematisch ist dabei auch, dass die Entscheidung, wann und in welcher Höhe ein Produkt im Preis reduziert wird, häufig eine Bauchentscheidung der Filialverantwortlichen oder ihrer Mitarbeiter ist. Dabei weiß der Handel aus dem Einsatz KI-basierter Software-Lösungen im Nonfood-Bereich, dass sich auf Basis historischer Abverkaufszahlen sehr treffend die Preiselastizität einzelner Artikel ermitteln lässt und auf dieser Basis systemgestützt Markdown-Aktionen am Ende einer Saison oder des Lebenszyklus eines Produktes erstaunlich treffend gestalten lassen.

KI ersetzt Intuition

Daher scheint es wenig sinnvoll, die Frage, wann und in welcher Höhe ein Artikel im Preis reduziert werden sollte, der Intuition der Mitarbeiter auf der Fläche zu überlassen. Tatsächlich steigt die Wahrscheinlichkeit, Waren noch abzuverkaufen, bevor sie nicht mehr verkehrsfähig ist, durch den Einsatz prognosebasierter Preisoptimierungs-Lösungen erheblich.

Doch Preisoptimierung ist ohne Daten unmöglich. So muss der Handel nicht nur die Bestände MDH-genau in ein System bringen, sondern auch Abverkaufsdaten, aus denen hervorgeht, zu welchem Preis Waren mit welcher Restlaufzeit tatsächlich gekauft wurden.

App digitalisiert Markdown

Mehrere große Unternehmen des Lebensmittel-Handels beschäftigen sich derzeit mit einer Lösung, welche die GK-Tochter Prudsys mit dem Ziel an den Start gebracht hat, dem Handel die Optimierung von Markdowns im Frischesortiment zu ermöglichen: Die GK Instore Check & Price App soll Mitarbeiter dabei unterstützen, ein MHD-genaues Bestandsmanagement umzusetzen. Durch Integration der Preisoptimierungs-Lösung von GK liefert die App konkrete Vorschläge für die Preisreduktion bestimmter Artikel mit einem bestimmten MHD.

Die App wurde so entwickelt, dass sie an die derzeit existierenden Prozesse in den Vertriebsstätten angepasst werden kann, ohne dass sich der Arbeitsaufwand auf der Fläche durch das systemgestützte Frische-Management vergrößert. „Unser App macht das so einfach wie möglich und ganz nah an den bereits bestehenden Prozessen, so dass die Mitarbeiter nicht geschult werden müssen“, sagt Jens Scholz, CEO der GK-Tochter Prudsys und Leiter der AI Services der Gruppe. Sofern ein Handelsunternehmen heute mit MHD-Papierlisten arbeitet, bietet der Einsatz der App sogar die Chance, die Prozesse deutlich zu verschlanken.

Verteilte Rollen

Auf jeden Fall kann mit der Lösung Transparenz geschaffen werden, die dem Handel derzeit bei Preisreduktionen im Frischebereich fehlt. So können mit der Instore Check & Price App auch Rollenkonzepte abgebildet werden, wie sie teilweise bereits heute in den Stores existieren. Während die App für bestimmte Mitarbeiter die MHD-genaue Bestandserfassung unterstützt, eröffnet sie zum Beispiel den Filialverantwortlichen die Möglichkeit, die eigentlichen Preisreduktions-Vorschläge zu prüfen und zu akzeptieren.

Da der Handel durch die Vermeidung von Food Waste nicht nur sein Image, sondern eben auch seinen Umsatz verbessert, schaut er derzeit nach Lösungen, die leicht einzuführen sind, ohne das ganz große Rad der Integration in die Warenwirtschaftssysteme drehen zu müssen.

Die Lösung von GK Artificial Intelligence for Retail ermöglicht es auch, die aufwändige manuelle Erfassung der MHDs im Regal zumindest zu dokumentieren und ab der Erfassung Mitarbeitern gezielt Tasks zu setzen, wenn weitere Artikel einer SKU im Preis reduziert werden müssen. Der Abverkauf durch Preisreduktionen wird so zum einen effizienter für die Mitarbeiter auf der Fläche, er wird zum anderen aber vor allem transparenter für den Händler.

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Björn Weber

Björn Weber ist seit über 20 Jahren als Journalist, Analyst und Berater auf den Einzelhandel und die Konsumgüterindustrie spezialisiert. Bevor er die Agentur Fourspot gründete, bei der The Retail Optimiser erscheint, leitete er die internationale Analysten-Gruppe LZ Retailytics. Zuvor war er Research Director Retail Technology und Deutschlandchef von Planet Retail. Björn Weber war davor acht Jahre lang Redakteur für IT & Logistik-Themen der Lebensmittel Zeitung. Björn Weber ist Mitglied der Jury des Retail Technology Awards (Reta Europe) des EHIs. Er ist regelmäßiger Sprecher auf Veranstaltungen des EHIs, der NRF, der Branchenmedien sowie des Consumer Goods Forums.

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