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Elektronische Preisetiketten brauchen mehr Use Cases

Nach jahrzehntelanger Zurückhaltung sieht es gerade so auch, als stürze sich der deutsche Lebensmittel-Einzelhandel regelrecht auf elektronische Regalpreis-Etiketten. Doch zahlreiche Tests in einzelnen Stores und selbst Rahmenverträge mit Lieferanten der Technologie sind noch kein Beleg dafür, dass die elektronischen Labels schon bald flächendeckend in allen Stores zu sehen sind. Denn einen zügigen Return-on-Investment wird der Handel nur erreichen, wenn er die Labels nutzt, um mit intelligenten Preisoptimierungs-Lösungen dynamischer auf die Entwicklung des Marktes zu reagieren, die Instore-Prozesse mit den Labels optimiert oder den Kunden einen erheblichen Zusatznutzen durch die Technologie bietet.

Als MediaSaturn seine Stores 2016 mit elektronischen Regalpreis-Etiketten ausstattete, war die Motivation eindeutig: Die Elektronik-Märkte kamen nicht mehr drum herum, die Preise an das hoch dynamische Geschehen im Online-Handel anzupassen. So erklärte der damalige CEO Pieter Haas gegenüber dem EHI: „Ohne digitale Preisauszeichnung in den Stores wird auf mittlere Sicht kein Consumer-Electronics-Händler überleben können.“ So schmerzhaft das auch in Anbetracht des Margenschwunds der Fachmärkte war, es wurde unvermeidbar, denn immer mehr Kunden verglichen die Preise der Ware vor dem Besuch oder letztlich im Store mit denen der Internet-Händlern. 

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Mit intelligenten Preisoptimierungs-Lösungen arbeitet auch Metro in ihren Großverbraucher-Märkten, die lange Zeit einzige Vertriebslinie des deutschen Handels, die ihre Stores mit elektronischen Regalpreis-Etiketten ausgestattet hatten. So setzt sie in acht Ländern auf die Lösung des Pricing-Spezialisten Revionics, der inzwischen zu Aptos gehört.

Nach jahrzehntelanger Zurückhaltung steigt nun auch der deutsche Lebensmittel-Einzelhandel in den Einsatz elektronische Regalpreis-Etiketten ein. Fragt man jedoch die Verantwortlichen, welche Ziele sie damit verfolgen, fällt die Antwort bescheiden aus: Ziel sei es, heißt es häufig, die Kosten für das Stecken neuer Papier-Etiketten zu vermeiden und dem Kunden fehlerfreie Preise am Regal anzuzeigen. Fehlerhaft, räumen die Befragen auf Nachfrage ein, seien die Preise aber auch auf Papieretiketten sehr selten im deutschen Einzelhandel.

Wirtschaftlichkeit von ESLs ist voraussetzungsvoll

Ob elektronische Regalpreis-Etiketten wirklich in die Stores kommen, steht und fällt mit der Frage, wie schnell sich die Investition amortisiert. So bewerteten die teilnehmenden Handelsmanager auf einem Webinar, das der Retail Optimiser-Herausgeber Fourspot vergangenen Jahres mit Experten von Revionics und Pricer zum Thema durchführte, ein schneller Return-on-Invest und die Total Cost of Ownership als die wichtigsten Kriterien bei der Entscheidung über den Einsatz elektronischer Preislabels.

Eine große Chance im Einsatz elektronischer Regalpreis-Etiketten liegt nach Ansicht von Stefan Welke, Country Manager von Pricer in Deutschland, Österreich und der Schweiz, auch darin, Preisimage, Umsätze und Margen durch dynamischeres Pricing gegen den Wettbewerb zu optimieren. Und zwar durch den Einsatz intelligenter, selbstlernender Optimierungs-Software, welche aus historischen Abverkaufsdaten Preiselastizitäten berechnet und diese im Rahmen Warengruppen-spezifischer Strategien zur Optimierung der Preise nutzt. Händler, die Preis-Optimierungs-Lösungen nutzen, berichten regelmäßig von erheblichen Steigerungen sowohl ihres Umsatzes als auch des Gewinns. So konnte zum Beispiel die ICA-Tochter RIMI Baltic mit der Einführung von Revionics erhebliche Umsatzsteigerungen erreichen. Der Retail Optimiser berichtete.

Wenig elektronisch und schlecht lesbar: Der neue Nutri-Score auf den SoluM-Labels einer Rewe Filiale in Frankfurt am Main. (Foto: Björn Weber)

Auch wenn der Einsatz von Preisoptimierungs-Lösungen nicht zwingend mit einem häufigeren Preiswechsel einhergehen muss, so zeigen zahlreiche Projekte doch, dass sich durch ein etwas dynamischeres Pricing sowohl Marge als auch Umsatz verbessern lässt, da schneller auf relevante Preisänderungen des unmittelbaren Wettbewerbs reagiert werden kann.

ROI für ESLs ein Jahr früher mit Preisoptimierung

In Fourspots “Dynamic Duo”-Webinar zum Thema im vergangenen Jahr präsentierten Pricer und der Pricing-Spezialist Revionics, der inzwischen zu Aptos gehört, gemeinsam einen Business Case, der die Umstellung auf die Preisoptimierungslösung und die Einführung elektronischer Regalpreisetiketten zusammen abbildet.

“Wenn ein Einzelhändler operativ nicht mehr durch eine begrenzte Anzahl von Preisänderungen eingeschränkt ist, die er vornehmen kann”, berichtete Anastasia Laska von Revionics, “können durch den Einsatz von Dynamic Pricing in Verbindung mit elektronischen Preisetiketten zusätzliche 37 Prozent des Gewinnoptimierungs-Potenzials realisiert werden.” Durch die Begrenzung der Anzahl von Preisänderungen aufgrund der hohen Kosten, die mit manuellen Preisänderungen verbunden sind, berauben sich die Einzelhändler dieses zusätzlichen Gewinn-Potenzials.

Darüber hinaus kann durch die Einführung elektronischer Regalpreis-Etiketten zusammen mit der Preisoptimierung von Revionics innerhalb von 1,8 Jahren ein positiver Cashflow erzielt werden, verglichen mit 2,8 Jahren, wenn nur ESLs implementiert werden.

“Die Implementierung von ESLs und dynamischer Preis-Optimierungs-Technologie in Betracht zu ziehen, ist nicht nur ein guter Investitionsansatz, sondern auch die richtige strategische Entscheidung”, erklärt Anastasia Laska: “In der heutigen schnelllebigen Einzelhandelswelt ist die Fähigkeit, dynamisch und intelligent auf Veränderungen des internen Geschäftsparameters Kosten und der externen Parameter Nachfrage und Wettbewerb zu reagieren, ein wesentlicher Faktor für den Erfolg von Einzelhändlern.”

Erster Einsatz bei Obst und Gemüse

Auch wenn sich der Lebensmittel-Einzelhandel in Deutschland noch schwer damit tut, seine Preise dynamischer ans Marktgeschehen anzupassen, so sehen die Verantwortlichen dennoch einen klaren Nutzen elektronischer Preisauszeichnung dort, wo die Preise ohnehin bereits sehr volatil sind, da sie sich an stark schwankenden Einkaufspreisen orientieren müssen: Beim Obst und Gemüse-Sortiment.

Aldi Nord testet wie Lidl und Aldi Süd elektronische Etiketten von SES Imagotag: Hier in einer Filiale in Essen, Deutschland. (Foto: Aldi Nord)

Und genau hier denken die Verantwortlichen des deutschen Einzelhandels auch über den Einsatz von Preis-Optimierung nach. Und zwar in der Form von Mark-down-Optimierung mit dem Ziel, die frische Waren rechtzeitig vor dem Verderb abzuverkaufen und das Vernichten von Lebensmitteln zu reduzieren. Konsequenter Weise beginnt zum Beispiel die Schwarz Gruppe ihr gigantisches Investitionsvorhaben in elektronische Regalpreis-Etiketten sowohl bei Lidl als auch bei Kaufland im Obst und Gemüse-Bereich.

Große Pläne bei Lidl und Aldi

Mit zwei Lieferanten der Technologie, mit der Samsung-Ausgründung SoluM und SES Imagotag hatte die Schwarz Gruppe jüngst ein großes Rahmenpaket über vollgrafische Labels für die gesamten Stores vereinbart, welche sich in Farbe und Anmutung durch nichts von den Papierlabels unterscheiden. Lidl hat in den Hochlohnländern Schweiz und Schweden bereits begonnen, Filialen komplett mit elektronischen Regalpreis-Etiketten auszurüsten. In Deutschland ist der Roll-out beim Obst und Gemüse Sortiment gestartet.

Bereits vor der Gruppen-weiten Entscheidung für die Technologieanbieter hatte Kaufland begonnen, den Obst und Gemüse-Bereich seiner Stores europaweit mit dreifarbigen, uneingeschränkt grafikfähigen Displays des britischen Anbieters Displaydata auszurüsten.

Bereits 2018 hatte sich auch Aldi Süd für elektronische Regalpreis-Etiketten von SES Imagotag entschieden. Zu sehen ist davon in den Filialen jedoch nicht viel. 2019 führte dann auch Aldi Nord eine Ausschreibung für elektronische Etiketten und einen Test in einer Filiale in Duisburg durch – ebenfalls mit Labels von SES Imagotag. Ob die Sonderanfertigungen in der von den Herstellern sonst nicht angebotenen Sondergröße 3,5 Zoll jedoch wirklich eingekauft werden wird von Aldi Nord, ist noch völlig offen.

Eine Frage der Wellenlänge

Für Verunsicherung im Markt sorgt neben der Höhe der Investition auch die Frage, welche Funkfrequenz für die Datenübertragung auf die Labels zukunftssicher ist. Allein wer sich für Etiketten von Pricer entscheidet, hat diese Qual der Wahl nicht, denn Pricer setzt unverändert auf eine optische Übertragung der Informationen. Probleme mit der Funkübertragung in Kühlmöbel hinein hatten auch den französischen Handels-Giganten Carrefour jüngst dazu bewegt, alle neuen Installationen nur noch mit Pricer zu machen.

Wer dagegen auf Funk-Labels setzt, der muss entscheiden, auf welcher Frequenz die Übertragung laufen soll. Hat er sich auf eine Bandbreite festgelegt, lässt sich diese bei einmal produzierten Labels nicht mehr ändern. Die bisher üblichen 868 MHz werden in der Regel nicht mehr eingesetzt, zu nah ist das Frequenzband an dem von RFID. Höhere Frequenzen kosten jedoch auch mehr Energie, was die Lebenszeit des Labels verkürzt.

Weit verbreitet sind die WLAN-Frequenzen: Doch ist für die Zukunft 2,4 GHz oder 5 GHz die richtige Frequenz? Einig sind sich die Fachleute in den Technologie-Abteilungen der Handelsorganisationen dazu nicht. Wenn die Labels erst einmal produziert sind, ist das Handelsunternehmen auf eine Frequenz festgelegt. Und auf den gängigen Frequenzen tummeln sich im Store noch zahlreiche andere Geräte.

Abwarten heißt das Kommando bei vielen anderen Handelsorganisationen derzeit. Auch, weil die Hersteller in 2021 erstmals vier-farbige Labels in ihrem Standardsortiment – und nicht nur als Showcases – anbieten werden. Dies, weil das Unternehmen E-Ink, bei dem alle die E-Paper-Technologie für grafische Displays einkaufen müssen, diese Vierfarbigkeit jetzt anbietet.  

Auch bei verderblichen Artikeln wie den Molkerei-Produkten im Kühlregal testen viele deutsche Händler derzeit Rabatte kurz vor dem Ablauf des Mindest-Haltbarkeits-Datums. Da die Preissenkung jedoch nur für einen Teil der Ware einer SKU gilt, fehlt noch die Phantasie, wie elektronische Regalpreis-Etiketten hier helfen können.

Rewe als Vorreiter

Dennoch hat die Rewe Group den Auftakt gemacht, zahlreiche Stores komplett mit elektronischen Regalpreis-Etiketten auszurüsten und dies auch ihren angeschlossenen Kaufleuten anzubieten. Sie ist bei der Technologieauswahl dem britischen Handelsprimus Tesco gefolgt, der den koreanischen Elektronik-Giganten Samsung 2011 bat, besonders günstige Displays für genau diesen Zweck zu produzieren. 2015 gründete Samsung das Geschäft mit den Regalpreis-Etiketten in die eigenständige Unternehmen SoluM aus.

Am Standard-Regal setzen die Kölner auf äußerst einfache Labels, die segmentbasiert lediglich den Preis des Produktes und den Basispreis anzeigen. Alle weiteren Informationen werden ausgedruckt auf Papier ans Etikett gesteckt oder geklebt. Nur im Obst&Gemüse-Bereich setzt Rewe Group zweifarbige E-Paper-Displays ein, welche zum Beispiel reduzierte Ware deutlich hervorheben, indem der gesamte Hintergrund rot wird.

Rewe Supermärkte setzen wie alle Händler bei Obst und Gemüse wesentlich größere Labels ein – wie diese von SoluM. (Foto: Björn Weber)

Mit den deutlich preiswerteren, segmentbasierten Labels kann der Handel relativ zeitnah einen ROI erreichen, wenn er die Labels zusammen mit einer Preisoptimierungs-Lösung so einführt, dass er Nutzen aus einer dynamischeren Anpassung der Preise an das Marktgeschehen zieht.

Zusatznutzen für die Kunden

Allerdings bieten die einfachen, segmentbasierten Labels den Kunden keinen Vorteil, sofern die Mitarbeiter auch zuvor die Papier-Etiketten zuverlässig ausgetauscht haben. Die führenden Hersteller elektronischer Regalpreis-Etiketten bieten dem Einzelhandel mittlerweile zahlreiche Zusatzfunktionen für seine Kunden.

So können elektronische Regalpreis-Etiketten als Beacons eingesetzt werden, die dem Kunden auf dessen Smartphone durch den Store navigieren. Pricer hatte als einer der ersten Anbieter dafür eine Anwendung geschrieben, mit welcher der Kunde anhand seiner auf dem Smartphone erstellten Einkaufsliste durch den Store geführt wird. Kommt er in die Nähe eines gesuchten Produktes, fängt das Label an zu blinken. Mit der gleichen Logik lässt sich auch die Instore-Kommissionierung von online bestellter Ware durch Mitarbeiter erleichtern.

Elektronische Regalpreis-Etiketten können sich relativ schnell amortisieren, wenn die Labels auch im Kampf gegen Regallücken eingesetzt werden. Fehlende Ware ist nicht nur Gift für den Umsatz, sie ist nach Warteschlangen an den Kassen das zweitgrößte Ärgernis für Kunden im Einzelhandel, wie mehrere Studien bestätigen.

Zählen, was blinkt

Handelsunternehmen, die auf automatische Disposition der Filialbestände setzen, können Mitarbeiter durch blinkende Elemente zu den Artikeln führen, bei denen der Bestand erfasst werden muss. Und bei der Regalpflege außerhalb der Öffnungzeiten macht es Sinn, die Labels komplett auf die Anzeige relevanter Informationen aus dem Planogramm umzustellen: Position, Anzahl der Facings sowie Informationen zum Shelf Ready Packaging steigern die Effizienz der Regalverräumung.

Stefan Welke von Pricer berichtet von Einsatzmöglichkeiten für elektronische Labels, die weit über die Anzeige von Informationen hinaus geht. Im Zusammenspiel mit Kameras können sie helfen, kontinuierlich Regallücken, aber auch Fehlplatzierungen und kalte Auslistungen zu melden. Letzlich, so Welke, könnten Händler einen permanenten, automatischen Abgleich des Realogramms mit dem Planogramm realisieren, und Mitarbeiter über Task-Management-Lösungen automatisch den Auftrag zuteilen, die Probleme zu lösen.

Eine Frage der Ausdauer

Die Kosten für Elektronische Regalpreis-Etiketten werden häufig unterschätzt, denn der Total Cost of Ownership (TCO) der Technologie ist immer wesentlich höher als der Anschaffungspreis. Da die Labels in der Regel keine austauschbare Batterie haben, müssen sie komplett ersetzt werden, wenn sie keine Energie mehr haben.

Carrefour hat sich daher im vergangenen Jahr dafür entschieden, neue Labels nur noch von Pricer zu kaufen. Der schwedische Hersteller ist dafür bekannt, dass seine Etiketten besonders lange durchhalten. Pricers Deutschland-Chef Welke sagt: „Unsere neuen Labels der Generation SmartTagPower und PowerPlus halten mindestens acht Jahre durch.”

Nonfood hat größere Anforderungen: Pricer-Label in einem Intersport-Fachgeschäft in Athen. (Foto: Pricer/Antigoni Lekka)

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Björn Weber

Björn Weber ist seit über 20 Jahren als Journalist, Analyst und Berater auf den Einzelhandel und die Konsumgüterindustrie spezialisiert. Bevor er die Agentur Fourspot gründete, bei der The Retail Optimiser erscheint, leitete er die internationale Analysten-Gruppe LZ Retailytics. Zuvor war er Research Director Retail Technology und Deutschlandchef von Planet Retail. Björn Weber war davor acht Jahre lang Redakteur für IT & Logistik-Themen der Lebensmittel Zeitung. Björn Weber ist Mitglied der Jury des Retail Technology Awards (Reta Europe) des EHIs. Er ist regelmäßiger Sprecher auf Veranstaltungen des EHIs, der NRF, der Branchenmedien sowie des Consumer Goods Forums.

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